" Zeit sprengt alle Mauern "

2003: Avi Primor

Am 9. November 2003 wurde erstmals unter der Federführung des Berliner Komitees für UNESCO-Arbeit die Berliner Friedensuhr in Berlin verliehen. Preisträger war Prof. Avi Primor, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland.


Jens Lorenz und Avi Primor


Primor vertrat sein Land von 1993 bis 1999. In dieser Zeit war er mehr als seine Vorgänger und Nachfolger präsent in der deutschen Öffentlichkeit und die wichtigste Stimme des deutsch- israelischen Dialogs. Viel Lob erntete er für seinen unermüdlichen Einsatz für die deutsch-israelische Versöhnung.

Dokumentation der Verleihung am 9. November 2003


Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit:
  
  
         
"...    Der 9. November ist wohl der schwierigste Tag im Kalender der Deutschen. Vielleicht kann kein anderes Datum die deutsche Geschichte in ihren Irrungen und Wirrungen besser widerspiegeln. Es ist ein Tag der höchsten Freude und der größten Trauer, zugleich ein Tag der tiefsten Scham. Ganz wesentliche Wendepunkte haben sich an einem 9. November ereignet. Und auch heute werden wir Anlass haben, daran zu erinnern ...


Klaus Wowereit

... Dass auch die Friedensuhr zum Inventar dieses Tages zählt, ist eine weitere der vielen Paradoxien rund um den 9. November. Sie wurde an jenem Abend zum ersten Mal enthüllt, an dem die Mauer fiel. Aus diesem Grund wird die Friedensuhr an ihrem "Geburtstag" an eine hochrangige Persönlichkeit verliehen ...

... Heute wird Avi Primor diese hohe Ehre zuteil. Eine gute Wahl wie ich finde und Ort wie Zeit der Auszeichnung könnten in diesem Fall nicht besser passen. Denn Avi Primor hat sich außergewöhnliche Verdienste um Berlin und um den Frieden erworben, auch und gerade für die Aussöhnung von Deutschland und Israel Maßstäbe gesetzt..   

... Wie man hören kann, lieber Herr Primor, fand Ihre Arbeit in Deutschland nicht immer den Gefallen Ihrer Regierung (im Englischen sagt man über Diplomaten, bei denen die Zentrale vermutet, der Betreffende würde sich zu sehr mit seinem Gastland identifizieren: 'He has gone native'). Aber wer sich wie Sie buchstäblich Tag und Nacht in die Diskussionen über Gott und die Welt, den Nahen Osten oder das mittlere Europa auf ebenso differenzierte wie distanzierte Weise einmischt, sachkundig aufklärt und geduldig zuhört, sollte eher den Dank seines Vaterlandes erfahren. Sie haben auf vielen Feldern als 'ehrlicher Makler' und redlicher Mittler zwischen unseren Ländern gewirkt und dafür will ich Ihnen im Berliner Namen von Herzen danken ...

... Ich finde, es ist eine der schönsten Geschichten im Leben der Deutschen nach der Wiedervereinigung, dass ein Mann wie Avi Primor, für den Deutschland lange Zeit 'ein weißer Fleck' und Rätsel war, wie 'eine Wunde, die vernarbt aber noch schmerzt', uns Deutschen die Hand zur Versöhnung gereicht hat und ein Bürger dieser Stadt geworden ist, der uns nach wie vor mit Rat und Tat zur Seite steht, nicht zuletzt als Mitglied des Vorstandes der Stiftung 'Erinnerung, Verantwortung und Zukunft' ...

... Ich darf mich im Namen der Berlinerinnen und Berliner sehr herzlich für Ihr Wirken in unserem Land und unserer Stadt bedanken und gratuliere Ihnen ganz herzlich zu dieser Friedensuhr."

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Senator Dr. Thomas Flierl:

"...  Es gibt Geschichten, von denen man sagt, dass nur das Leben sie schreiben könne. Die Geschichte der Friedensuhr und des 'Berliner Friedensuhr'-Preises ist so eine Geschichte ...


Dr. Thomas Flierl

...  Die Geschichte begann in einer Zeit, von der die Geschichtsschreibung heute sagt, dass sie zur Endphase des Kalten Krieges gehört. Wenn wir uns jetzt für einen Augenblick in die Jahre 1988/89 zurück denken, in jene Zeit also, da Sie, Herr Lorenz, an dem Original der Friedensuhr arbeiteten, und wenn wir ganz ehrlich zu uns selbst sind, dann wissen wir: Niemand von uns hatte eine feste Ahnung vom Ausgang der Geschichte: 'Zeit sprengt alle Mauern' - natürlich, irgendwann, immer.
   
Nichts ist ewig. Aber der Zufall wollte es, dass die Friedensuhr mit dieser Botschaft im Westteil Berlins feierlich enthüllt wurde - und im selben Augenblick der berühmte Lapsus eines SED-Politbüro-Mitgliedes im Ostteil der Stadt die Berliner Mauer unumkehrbar öffnete. Ein Zufall? Ja, sicher - aber nur auf der Zeitachse.
 
Die Zeit war reif,  nur dass wir, die wir damals mehr oder weniger Beteiligte waren, es nicht wussten, den Augenblick nicht ahnen konnten, als es passierte ...

... Geschichte bleibt Menschenwerk, dessen konkreter Vollzug den Akteuren in historisch entscheiden- den Momenten als Zufall begegnet - und sie zum Handeln zwingt. Aber: Nichts passiert in der Geschichte, ohne dass Menschen dafür zuvor nicht gesorgt, gehandelt, gestritten, gelitten und gekämpft hätten ...

... Im historischen Zufall begegnen wir uns selbst - bestimmt durch Voraussetzungen, die wir selbst und andere mit uns geschaffen haben ...

... So, verehrter Avi Primor, verstehe ich Ihren Optimismus, Ihr Engagement, Ihre Leidenschaft im Nahöstlichen Friedensprozess - Ihren Traum von einem friedlichen Ausgleich im Heiligen Land ..."

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Prof. Dr. Klaus Hüfner, Vorsitzender des Berliner Komitees für UNESCO-Arbeit:

"... Dieser 'Berliner Friedensuhr-Preis' soll - in Fortführung der bisherigen privaten Initiativen von Herrn Juwelier Jens Lorenz - an Persönlichkeiten und Institutionen verliehen werden, die auf der Grundlage der 'Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte' der Vereinten Nationen exemplarisch dazu beigetragen haben, um Mauern zwischen Rassen, Klassen, Völkern, Nationen, Kulturen, Ideologien, Konfessionen, Parteien und Menschen zu überwinden.


Prof. Dr. Klaus Hüfner

... Verehrter Herr Primor, Sie haben sich als Botschafter, Historiker und Politikwissenschaftler in Ihren Büchern und Interviews als eine Persönlichkeit ausgewiesen, die fundiert und abwägend aber zugleich offenlegend denkt, die kenntnisreich Geschichte vermittelt, um daraus für die Gegenwart und Zukunft zu lernen, die gegen den Strom denkt und handelt, sich um Verständnis und Verstehen             bemüht.

Dadurch lassen Sie sich in übliche Schemata schwer einordnen; Sie sind weder 'Falke' noch 'Taube', weder 'Realist' noch 'Idealist'. Erlauben Sie mir, Sie als einen 'realistischen Idealisten' zu bezeichnen, der querdenkt und querliegt, wie der ehemalige Bundespräsident, Roman Herzog, einmal sagte. Sie setzen sich für den Abbau von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit ein und fordern einen historisch fundierten Dialog zwischen Israelis und Deutschen, zwischen Israelis und Europäern, zwischen Israelis und Arabern ...

...    Die letzten 55 Jahre haben gezeigt, dass Gewalt und Terror keine Lösung des Nahost-Problems schaffen; Gewalt erzeugt Gegen-Gewalt, Terror Gegen-Terror. Das Blutvergießen muss ein Ende haben; der Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern ist nach diesem lang andauernden Kriegszustand notwendiger denn je. Dabei müssen beide Seiten Zugeständnisse machen. In dem Fahrplan des sogenannten Nahost-Quartetts vom Juni diesen Jahres, der zur Gründung eines Palästinenserstaates und zur vollständigen Normalisierung der Beziehungen der arabischen Staaten zu Israel führen soll, betonen Sie einerseits die besondere Verantwortung der USA, andererseits die wichtige Frieden garantierende Rolle der UNO und der EU beim Wiederaufbau sowie bei der Schaffung von gemeinsamen Infrastrukturprojekten in der gesamten Region des Nahen Ostens ...


Klaus Wowereit, Avi Primor, Jens Lorenz, Smita Lorenz

... Meine Damen und Herren, die UNESCO ist eine Friedensorganisation; sie will Vertrauen schaffen   durch Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Zu ihren Prioritäten gehört die Erziehung zu Frieden, Menschenrechten und Demokratie ...

Die Deutsche UNESCO-Kommission hat sich - in enger Zusammenarbeit mit der Israelischen und     Palästinensischen UNESCO-Kommission - in den letzten Jahren darum bemüht, diese Zielsetzungen   in konkrete Projekte umzusetzen.

Der Kooperationsvertrag von 1996 führte zu zahlreichen gemeinsamen Veranstaltungen und Projekten in Deutschland, Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten bis zum Ausbruch der Intifada Ende September 2000 ...

...    Es ist mir eine Freude und Ehre zugleich, dass Sie, verehrter Herr Primor, den 'Berliner Friedensuhr-Preis 2003' annehmen und damit zum Ausdruck bringen, dass wir gemeinsame Ziele von einer vertieften freundschaftlichen Verständigung zwischen den Völkern in Europa, Israel und dem Nahen Osten verfolgen ..."

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Avi Primor, Botschafter a.D. Israels in Deutschland: Auszüge

"... Diese 'Berliner Friedensuhr' ist fast eine Last. Sie müssen sehen, wie schwer sie ist. Es ist gar nicht so einfach, sie zu halten. Jetzt weiß ich, was für eine Verantwortung das ist ...


Avi Primor


... Ich weiß eines, ich werde mich bemühen müssen, jetzt würdig zu sein für diesen Preis, und das ist keine einfach Sache ...

... Herr Regierender Bürgermeister, Sie haben so viel Lob ausgesprochen aber am Ende haben Sie auch von einer Aufgabe gesprochen und haben es angedeutet, dieser Preis verpflichtet mich nun, mich weiter zu bemühen oder noch mehr zu bemühen, um für Verständigung zwischen Menschen aus     verschiedenen Ländern und Nationen, Religionen usw. zu arbeiten ...

... Auf dieser Uhr steht 'Zeit sprengt alle Mauern', ja und wenn wir von Mauern sprechen, dann meinen wir eigentlich etwas Negatives. Dann meinen wir eigentlich etwas, dass man beseitigen soll. An dem Tag, wo Sie, Herr Lorenz, diese Uhr erfunden haben, diesen Preis erfunden haben, fiel die Berliner Mauer, und das ist doch natürlich ein Ereignis, ein Ereignis für alle Welt - übrigens ein Ereignis für die beiden Seiten. Damit zerfiel ja auch die Sowjetunion, damit wurden die Länder in Osteuropa frei und selbst die ehemalige Sowjetunion ist zur Demokratie oder zumindest ist sie unterwegs, zur Demokratie zu werden ...

... Zur Mauer in Israel: Friedenspläne, Friedensentwürfe - wer würde uns so etwas noch unterbreiten? Es sei denn, er wäre naiv oder ein Heuchler? So meinte es die Mehrheit der israelischen Bevölkerung. Und es sagten die Friedensstifter: Ja, aber dennoch darf es nicht so weitergehen. Blutvergießen, Intifada, Terrorrückschläge, Vergeltungsmaßnahmen und vor allem die Besatzung und Siedlungsbau - das müssen wir stoppen. Und wie stoppt man so etwas, wenn man keinen Gesprächspartner hat und wenn man unter Terror lebt? Ja, da bauen wir eine Mauer. Eine Mauer, die uns trennen wird. Nicht so trennen, wie man dasselbe Volk in zwei Teile getrennt hat, willkürlich getrennt hat, sondern eine Trennung zwischen zwei Völkern, zwei feindselige Völker gegeneinander, die Krieg gegeneinander führen ...

... Und jetzt gibt es verschiedene Initiativen. Privatinitiativen, Initiativen der Zivilgesellschaft

... Die Zivilgesellschaft, die sich bemüht, der Bevölkerung zu zeigen, dass es dennoch eine Alternative gibt, und wenn die Regierung es nicht annehmen will, dann soll eben die Zivilbevölkerung die Regierung dazu drängen, und das haben wir in der Vergangenheit schon mehrfach erlebt. Friedensverhandlungen im Nahen Osten wurden immer vor Ort initiiert, nie von der Außenwelt, nie von den Vereinigten Staaten, die hinterher natürlich als Vermittler geholfen haben aber der erste Schritt war immer, der kam immer von den Kontrahenten vor Ort selber. Und dann hat die Zivilbevölkerung in beiden Lagern die Regierungen zu Zugeständnissen gedrängt. So haben wir den Frieden mit Ägypten geschlossen, und so haben wir den Frieden mit Jordanien geschlossen, so haben wir auch die Osloer Verträge mit den Palästinensern ins Leben gerufen. Und das müssen wir fortsetzen ...

... Die Zukunft zu gestalten, den Frieden anzustreben, Menschen zu verstehen, zwischenmenschliche Beziehungen zu entwickeln - das ist die schwierigste Arbeit. Dazu braucht man Mut, man braucht aber auch, ermutigt zu werden ...

... Wenn ich die Reden höre, die ich heute gehört habe, wenn ich diesen Preis mir anschaue, dann sage ich: Ich bin ermutigt, man hilft uns. Und dafür bin ich Ihnen allen sehr sehr dankbar ..."

                          
Klaus Wowereit, Jens Lorenz, Avi Primor, Dr. Thomas Flierl